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Wort zum Sonntag

Der Sonntag ist für mich der schönste Tag der Woche. Auch wenn er im Gegensatz zum Samstag den großen Nachteil hat, dass ihm bis zum nächsten Wochenende in der Regel kein weiterer freier Tag mehr folgt, ist und bleibt er dennoch mein absoluter Lieblingstag.

Habt Ihr nicht auch das Gefühl, dass sich die Welt an Sonntagen langsamer dreht? Es ist ruhiger draußen, es fahren weniger Autos, weniger Menschen sind unterwegs, die Geschäfte sind geschlossen, alles fühlt sich ein wenig an, wie in Watte gepackt. Zumindest empfinde ich das immer so und es gefällt mir. Ich mag diese Ruhe vor meiner Haustür und diese Ruhe in mir drin, die ich einfach nur an einem Sonntag haben kann.

Manchmal schaffen wir es, auch den Samstag zum Sonntag zu machen, aber meist ist am Samstag doch immer irgendetwas los. Es kommt Besuch, wir sind Besuch, es muss doch noch etwas eingekauft werden, auch wenn wir versuchen, das unter der Woche zu erledigen, wir gehen zum Yoga, weil wir am Freitagnachmittag den Hintern nicht mehr hoch gekriegt haben, ich gehe zum Sport, es ist irgendwo eine reizvolle Veranstaltung oder die Wohnung muss schlicht und ergreifend einfach mal wieder grundsaniert werden.

Der Sonntag dagegen ist meistens ein Alles-kann-nichts-muss-Tag. Ist das Wetter regnerisch, ist das Sofa und der Fernseher der beste Freund. Vielleicht wird eine Maschine Wäsche gewaschen, vielleicht ein Brot gebacken, vielleicht etwas gekocht, vielleicht wird aber auch gar nichts Produktives getan und es macht jeder von uns, wonach ihm gerade ist.

Heute war das Wetter zum Beispiel ein Traum. Es war knackekalt und die Sonne schien, was mich dazu motiviert hat, nach einem dreiviertel Jahr endlich mal wieder Laufen zu gehen. Meine Frau hat derweil Brot gebacken und Wäsche gewaschen. Wer von uns beiden da jetzt besser weggekommen ist, liegt definitiv im Auge des Betrachters. Ich war froh, den Arsch hochzubekommen, meine Frau vielleicht froh bei der Kälte nicht durch den Schloßpark rennen zu müssen. Mit dem Brotbacken war sie einfach mal dran und vor der Wäsche drücke ich mich ganz gerne, das gebe ich zu.

Am frühen Nachmittag waren wir dann noch ein gute Stunde spazieren, haben uns mal eine Ecke unseres Stadtteils angesehen, den wir noch gar nicht kannten und haben dabei einen neuen Weg entdeckt, der für zukünftige Sonntagsspaziergänge sicher öfters mal begangen wird. Immer nur durch den nahegelegenen Schloßpark zu laufen, ist auf die Dauer auch langweilig, zumal da an Sonntagen ein übermäßiges Begängnis herrscht, was unserem Bedürfnis nach Ruhe und Einsamkeit eher weniger entspricht.

Nach dem Spaziergang zu Hause angekommen, habe ich mir einen weißen Glühwein mit einem ordentlichen Schuß Rum gegönnt und mich damit in mein Zimmer verdrückt. Ja, ich habe ein eigenes Zimmer in unserem kleinen, neuen Häuschen. Neben Küche, Wohnzimmer, Schlafzimmer, Ankleidezimmer und Büro, wobei das kein Zimmer ist, sondern die Zwischenetage, fungiert ein weiteres Zimmer als Gästezimmer und mein Kreativzimmer. Hier ziehe ich mich zurück, wenn ich mal alleine sein möchte, wenn wir uns einfach mal aus dem Weg gehen müssen, wenn ich irgendetwas ausbrüte oder meine Frau mal wieder eine Phase hat, in der sie schnarcht, dass sich die Bodendielen biegen, was sie übrigens auch gerade unten auf dem Sofa tut, ich kann es hören.

Jeder, der eine langjährige Beziehung führt weiß, du kannst dich noch so sehr lieben, du gehst dir trotzdem irgendwann auf den Sack. Nun sind wir auch beide Personen, die gerne mal alleine sind, was nichts mit mangelnder Liebe zu tun hat, sondern mit Individualität. Und diese können wir in unserem neuen Haus wunderbar ausleben, im Gegensatz zur vorherigen Zwei-Zimmerwohnung, was unserer Beziehung, meiner Meinung nach, auch ganz gut tut.

In meinem Zimmer befindet sich ein Palettenbett. Meine ganze Jugend wollte ich immer ein Palettenbett haben, aber es kam nie dazu. Diesen Traum wollte und konnte ich hier verwirklichen. Eine Staffelei mit Maluntensielien, sowie eine Gitarre, ein E-Piano und diverse Dinge, die mir wichtig sind, befinden sich auch dort. Ich kann in diesem Zimmer machen, was ich will und es gestalten wie ich will. Hier hat alles Platz, was mir gefällt, aber meine Frau nur schwer ertragen kann, zum Beispiel die asiatische Winkekatze, Mad-Max-Möhre oder dieses Gemälde, ein Überbleibsel aus Kindertagen.

Irgendwie habe ich in Beziehung Individualität ein Defizit, welches sich aus verschiedenen Abschnitten meines Lebens zusammensetzt. In meinem Zimmer kann ich dieses Defizit kompensieren und ich bin meiner Frau, die manchmal bedauert kein eigenes Zimmer zu haben, sehr dankbar, dass sie mir das lässt. Wenn wir mal ehrlich sind: Wenn ich in meinem Zimmer bin, gehört ihr das gesamte Haus. Mein schlechtes Gewissen hält sich diesbezüglich in Grenzen. Dafür bleibt ihr ja auch die Winkekatze erspart.

Der heutige Sonntag war alles in allem ein voller Erfolg für mich und genau so, wie ein Sonntag meiner Meinung nach sein muss. Es war sonnig, ich habe den Tag sinnvoll genutzt, indem ich mich sportlich betätigt habe, wir zusammen einen Spaziergang gemacht und dazu noch unsere Ortskenntnis erweitert haben, ich für mich sein konnte, etwas geschrieben habe und das Abendessen bereits fertig auf uns wartet, weil gestern genug übrig geblieben ist, um heute nicht kochen zu müssen. Und obendrauf gab es einen weißen Glühwein mit einem ordentlichen Schuß Rum. Da bleibt eigentlich kaum ein Wunsch offen,… abgesehen von dem Wunsch, dass heute erst Samstag ist.

Mit gelben Säcken meine ich keine Chinesen

Seit zehn Jahren habe ich jetzt schon ein Profil auf der wohl bekanntesten aller Onlineseuchen des Worldwidewebs und weil ich eine Geisel meiner Internetsucht bin, kann ich es auch nicht lassen, mich dort und in einer Vielzahl anderer sozialer Netzwerke herumzutreiben, und das, obwohl mich die Mentalität der meisten Menschen dort regelmäßig abfuckt.

Es gibt doch für jede Stadt und jedes noch so unbekannte Kaff diese „Du bist…, wenn…“-Gruppen. Kennt Ihr sicher. Und wenn nicht, entgeht Euch, neben wenigen nützlichen Informationen, wie zum Beispiel dem Suchen und Finden diverser Haustiere, nichts. Es sei denn, Ihr steht auf Verschwendung von Lebenszeit und eine schnell chronisch werdende Form von ausgewachsener Hirnschmelze.

Der Stadtteil, in dem ich wohne, nennen wir ihn hier mal liebevoll das Dorf, hat auch so eine Gruppe. Und ja, ich bin da drin. Vermutlich, weil ich eine sadomasochistische Veranlagung habe und es unbewusst mag, wenn mein Hirn schmilzt. Anders kann ich mir das nicht erklären.

Und gestern war es dann wieder soweit. Die Uschi (Name von der Redaktion geändert) sorgt sich um das Wohl der Allgemeinheit, weil ein Mann schon zwei Wochen auf einem Parkplatz in seinem PKW, genauer gesagt einem Transit, kampiert und der laut Uschi seinen Müll in die Gegend schmeißt und in den nahegelegenen Park pinkelt. Der Mann, nicht der Transit.

Ich muss mir unweigerlich vorstellen, wie die Uschi versucht, sich im Park hinter kahlen Büschen und Bäumen zu verstecken, um den Mann dabei zu ertappen, wie er sein Geschlechtsteil aus der Hose in die winterliche Kälte zerrt, weil er verständlicherweise nicht in sein Auto urinieren möchte.

Uschis weltbewegende Informationen bleiben natürlich nicht lange ungelesen, was die Uschi ja auch gar nicht will, und es dauerte keine dreißig Sekunden bis jemand schreibt, was ich denke, nämlich, wo zum Henker das Problem sei?

Uschi wiederholt das bereits Geschriebene fast eins zu eins und man kann ihr Unverständnis über das Unverständnis förmlich schmecken. Dass der seinen Müll da entsorgt und in den Park pinkelt, findet die Uschi eben nicht gut. Das Wohnen im PKW auch nicht. „Da muss mal das Ordnungsamt vorbei!“, meint Uschi.

Wenn was im Argen sei, wäre das Ordnungsamt schon längst aktiv geworden, meint eines der Oppositionsmitglieder. Der Müll sei nämlich nicht von ihm, der sei von den Jugendlichen oder so, die sich da so gelegentlich herumtreiben. Daraufhin melden sich Hundebesitzer zu Wort und teilen mit, zu welchen Uhrzeiten sie ihn beim Gassigehen dort haben stehen sehen und wann nicht. Er sei ein Netter und er tue doch niemandem etwas, indem er in seinem Auto wohne, schreibt jemand, der offensichtlich bereits persönlichen Kontakt hatte.

„Noch nicht!“, denkt die Uschi bestimmt, schreibt es aber nicht. Doch ich kann es fühlen, dass sie das denkt. Wer auf einem Parkplatz in seinem Auto lebt, frisst nämlich kleine Kinder und wärmt sich mit deren Großmüttern den nackten Hintern. Ich kann quasi denken, wie die Uschi denkt. Wie so ein Profiler in amerikanischen Psychothrillern.

Aber weiter im Stück: Als nächstes wird vom größten Dorfquerulanten aus der Gruppe relativ neutral angemerkt, dass das ja sowieso ein Parkplatz für Wohnmobile sei und diskutiert, ob und wie lange er dann da stehen dürfe. Und solange er den Wagen regelmäßig bewege, gehe das klar. Das Ordnungsamt kontrolliert bei sowas wohl den Reifenstand oder so ähnlich und sieht, wenn jemand länger steht, als erlaubt. Dann erst gibt es Ärger, vorher nicht.

Das ist mal eine nützliche Information, denke ich – für den Fall, dass mich meine Frau irgendwann wegen angeborener Faulheit aus dem Haus schmeißt und ich gezwungen bin mit dem Transit-Mann eine Siedlung zu gründen. Ich wundere mich ein wenig, dass der lauteste Brüllaffe dieser Gruppe bei diesem Thema so zahm bleibt und vermute, dass es eine Form von männlicher Rudelsolidarität sein muss.

Für Uschi geht das alles gar nicht klar. Schließlich handelt es sich nicht um ein Wohnmobil, sondern um einen PKW und da sei das nun mal VER-BO-TEN. Sie schreibt es nicht so wie ich, aber ich bin mir sicher, sie würde es so aussprechen. Und das scheint tatsächlich Uschis größtes Problem zu sein. Es ist verboten und deswegen darf es nicht sein. Der Uschi geht es ums Prinzip.

Verboten, tz. Ich finde ja, dass es verboten sein sollte, der Uschi eine virtuelle Möglichkeit zur freien Meinungsäußerung zu gewähren. Weil es aber verboten ist, der Uschi das zu verbieten, konnte ich mich zum ersten Mal nicht zusammenreißen und musste auch meinen Senf dazu geben, um der Uschi unterschwellig und intelligent zu vermitteln, wie doof ich sie finde.

„Vermutlich hat der auch die ganzen gelben Säcke im Dorf geklaut.“, schreibe ich in Ironisch. Das tue ich, weil unter anderem dieses Thema sämtliche Uschis und Uschimänner bereits mehrere Wochen bewegt. Ein anderes Top-Thema sind die neuen Rolltonnen, ebenso heiß diskutiert.

Die gelben Säcke hätten wir also abgehakt. Die Rolltonnenthematik kriege ich auch noch eingeschleust. Dann haben die alles, was gerade in ihrem langweiligen Leben für Abwechslung sorgt in einem einzigen Beitrag und können sich richtig austoben, ganz zu Schweigen von der möglichen Zeitersparnis, die ich ihnen damit biete. Tolle Idee oder?

Ich muss nicht lange auf die passende Vorlage warten. Uschi selbst schenkt mir zwar einen Daumenhoch, was mich annehmen lässt, dass sie kein Ironisch lesen kann, aber alsbald grätscht Uschis Co-Uschi in diesen ungewollt harmonischen Moment und meint, dass der Transit-Mann die gelben Säcke nicht geklaut haben könne, denn sonst würde er seinen Müll ja nicht in die Gegend werfen. Daraufhin stelle ich die Frage in den Raum, wo er denn sonst mit seinem Müll hin soll, die blöden Rolltonnen passen doch in keinen PKW.

Tusch!

Da besorgte Bürger in der Regel humorbefreit sind und mich höchstwahrscheinlich ebensowenig verstehen, wie ich sie, werde ich natürlich direkt richtig hart angezickt. Ich weine jetzt noch. Vielleicht ist es aber auch meine geschmolzene Hirnmasse, die mir aus den Augenwinkeln rinnt. Da bin ich mir gerade nicht so sicher.

Gedankt hat mir übrigens niemand für die geniale Symbiose sämtlicher Themen, die das Dorf bewegen, und als ich den Beitrag vorhin zu Recherchezwecken nochmal aufrufen wollte, war er nicht mehr da. Das ganze Unverständnis war der Uschi wohl zu blöd. Vielleicht war sie auch ein wenig enttäuscht, dass sich kein wütender Mob zusammenrotten wollte, um den Störenfried zu vertreiben. Schade, wo es mir doch gerade anfing Spaß zu machen.

Im Ernst, sollte mich irgendwann im Morgengrauen, wenn ich nach einer durchzechten Nacht den Weg nach Hause wieder nicht finde beim Joggen bin, so eine Uschi hinterrücks anfallen und beißen, weil sie vielleicht denkt, dass ich ihr die frisch ausgeteilten gelben Säcke klauen will, und ich dann durch den Uschibiss so walkingdeadmäßig selbst zu einer Uschi werde, die dann in irgendwelchen Gruppen ihr vor Unwichtigkeit maximal bis zum Ortsschild stinkendes Meinungswürstchen rausdrückt, während die große Welt langsam zu einem überdimensionalen Kackhaufen verkommt, dann erschießt mich bitte. Zur Not tut es auch ein Kantholz.

Ich bin übrigens gespannt, wann hier die erste Dame mit dem Namen Uschi schreibt und mich verbal steinigt, weil ich den Namen Uschi so verunglimpfe. An dem Namen Uschi habe ich absolut nichts auszusetzen, vielmehr am Uschisein und das kann man auch, wenn man Petra, Claudia oder Hans-Günther heißt. Uschi heißen ist voll in Ordnung, auch wenn es jetzt nicht der favorisierte Name für eines meiner zahlreichen nicht vorhandenen Kinder wäre. Ein Tier fällt mir jetzt spontan auch nicht ein, welches ich so nennen würde. Obwohl, bei so einer ausgewachsenen englischen Bulldogge wäre das schon irgendwie lustig, vor allem wenn es ein Rüde ist.

Tusch!

 

Verrückt! Schlicht und ergreifend verrückt.

Da habe ich über Jahre Tagebuch geschrieben, damals noch so richtig, mit Stift und auf Papier, als das Wort Bloggen vermutlich noch gar nicht existent war, und über diesen einen Tag, diesen einen Augenblick, der mir mein ganzes restliches Leben so wichtig geblieben ist, der mich gewissermaßen hat überleben lassen, über diesen Tag habe ich nie etwas geschrieben? Kann das wirklich sein? Es gab immer mal Tage und Monate der Schreibflaute. Kann es tatsächlich sein, dass ich die wichtigste Erinnerung in meinem Leben nur auf die Innenwände meiner Hirnrinde gekritzelt habe?

Ich fasse es nicht und glaube es auch nicht, aber nach zweifachem Durchblättern der Tagebücher aus dem möglichen Zeitraum, habe ich nur einen Hinweis auf dieses Ereignis gefunden, aber nicht das Ereignis selbst. Das schmeckt mir ebensowenig wie der billige Whiskey, den ich dachte zu brauchen, um mit dem fertig zu werden, was mir auf der Suche in diesem Teil meines Lebens begegnen würde.

Tatsächlich ist mir beim Überfliegen schon so Einiges begegnet und was fast genauso schlimm ist, wie der verschwundene Tag, ist die Tatsache, dass ich mich an manche Ereignisse, die ich schriftlich festgehalten habe, gar nicht mehr erinnern kann. Nein, es ist nicht fast genauso schlimm, es ist weitaus schlimmer. Ich habe Momente zwischen uns vergessen, die wunderbar und unglaublich waren, die mir wichtig waren, die mein Lebensglück waren, die alles für mich waren. Jetzt lese ich davon, schlucke und kämpfe mit den Tränen, weil alles so herzzerreißend ist, aber ganz im Gegensatz zu diesem einen Moment, der unvergeßlich bleibt und nie auf Papier konserviert wurde, sind manche der auf Papier konservierten Momente einfach aus meiner Erinnerung verschwunden.

Es ist, als lese ich die Geschichte eines Anderen.