Hindernislauf

Wenn du nicht gehen kannst,
wohin du glaubst zu wollen,
weißt du vielleicht nur noch nicht,
wohin du wirklich gehen sollst.

Oft sind Hindernisse nicht da,
um sie zu überwinden,
sondern um dich einfach nur
auf den richtigen Weg zu lenken.

23. Juni 2021 // © Antje Münch-Lieblang

Gedankenwelt

Gedanken können wie Mauern sein,
versperren dir alle Sicht.
Gedanken können zu Schatten werden,
nehmen dir jegliches Licht.

Gedanken tragen dich hoch hinaus
und bringen dich unendlich weit.
Gedanken können erlösend sein,
fernab von Raum und von Zeit.

Gedanken drehen sich im Kreis,
denken sich vor und zurück.
Gedanken halten dich auf der Stelle,
zermürben dich Stück für Stück.

Gedanken können dich fesseln,
im Guten, wie im Schlechten.
Gedanken können befreien,
können auch ebenso knechten.

So achte gut auf deine Gedanken,
denn schnell verirren sie sich.
Dann denkst nicht mehr du die Gedanken,
sondern sie denken dich.

19. Juni 2021 // © Antje Münch-Lieblang

Sesselsurrealismus

Es ist schon wieder vierzehn Uhr und ich frage mich, wo die Stunden hin sind. Ich sitze in meinem Sessel und trage noch meine Schlafklamotten. Eine kurze und dünne Baumwollhose und mein Superman-Shirt. Was soll das auch für einen Sinn machen, eine kurze Hose gegen eine kurze Hose und ein Shirt gegen ein Shirt zu tauschen, nur weil man vorher drin gepennt hat? Wenn man sich Nachmittags für ein Schläfchen auf das Sofa haut, zieht man sich doch auch nicht erst um.

Würde ich mit meinen Schlafklamotten in den Supermarkt gehen, niemand würde es merken. Es würde übrigens auch niemand merken, wie witzig es ist, in einem Superman-Shirt einen Supermarkt zu betreten. Liegt aber vielleicht auch daran, weil Supermärkte im allgemeinen Sprachgebrauch in der Regel nicht Supermarkt heißen, sondern bei ihren speziellen Eigennamen genannt werden. Wenn ich sage, ich gehe mit meinem Superman-Shirt in den Aldi, finde ich das auch null witzig.

Karl liegt auf dem Sofa und hört sich mein Gedankenwirrwarr an. Zwischendurch nickt er oder macht hm-hm. Manchmal nickt er auch und macht zeitgleich hm-hm. Oder zieht das hm in die Länge, etwa so: Hmmmmmm….
Das ist dann auch schon alles, und irgendwie reicht mir das auch gerade. Mehr brauche ich nicht. Einen von Karls oberschlauen Lehrervorträgen könnte ich heute sowieso nicht ertragen, und ich glaube, er weiß das.

Ich komme mir ein bisschen vor, wie beim Therapeuten, mit dem Unterschied, dass mein Therapeut liegt und ich sitze. Und gratis ist es auch, heute zumindest. Sonst kostet mich Karl nämlich hin und wieder ein paar meiner zuckenden Nerven, weil er ständig versucht, mich auf den Pfad der Erleuchtung zu führen. Heute allerdings nicht. Keine Schlaumeiereien, keine zuckenden Nerven.

Irgendwie fühle ich mich heute ziemlich verloren, aus Gründen. Ich fing schon vorgestern an, mich zu verlieren. Heute bin ich nur noch undeutlich zu erkennen, irgendwie wächsern, und wenn das in dem Tempo so weiter geht, wahrscheinlich in ein oder zwei Tagen gar nicht mehr wahrnehmbar. Ich werde durchsichtig sein und es wird aussehen, als habe ich wie ein Chamäleon die Farbe des Sessels angenommen. Wobei ich mir nicht sicher bin, ob jemand nach etwas aussehen kann, wenn er nicht mehr zu sehen ist.

Karl hat sich schon lange nicht mehr gerührt und auch schon einige Minuten keines seiner lehrerhaften Hm-hms von sich gegeben. Ich frage mich, ob er mich noch sehen kann, traue mich aber nicht, mich irgendwie übermäßig bemerkbar zu machen, weil ich Angst habe, dass sich meine Befürchtungen bewahrheiten könnten.

»Mach dir keine Sorgen, Rocko. Wer bereit ist, dich zu sehen, wird dich sehen, auch wenn du dich selbst aus den Augen verlierst. So ist das übrigens bei allen Dingen auf dieser Welt. Der Mut zur Sehhilfe ist das Entscheidende.«

Karls plötzliche Worte erschrecken mich so sehr, dass mir fast die Kaffeetasse aus der Hand fällt. Dabei merke ich, dass sie längst leer ist. Ein wenig Milchschaum klebt eingetrocknet am Tassenrand. Ganz ohne Erleuchtung ging’s dann wohl doch nicht. Mein linkes Augenlid beginnt leicht zu zucken.

»Übrigens kann man dich auch bald riechen, wenn du so weiter machst. Da kannst du unsichtbar sein, wie du willst. Auch die Blinden werden dich finden.«, Karl setzt sich auf und schenkt mir ein breites Grinsen, bevor er aufsteht, um sich ein Bier aus dem Kühlschrank zu holen.

»Du Witzbold!«, ich werfe ihm eine Schachtel Streichhölzer hinterher, weil gerade nichts anderes greifbar ist und ich ein Buch dann doch für zu gewagt halte. Ich bereue meinen Entschluss allerdings ziemlich schnell, weil der Inhalt der Schachtel sich im Flug quer durch das Zimmer verteilt, bevor die Schachtel selbst unter den Tisch segelt. Hätte ich mal ein Buch genommen. Karl öffnet sein Bier, prostet mir zu und lehnt sich lässig an die Küchenanrichte.

»Also ich hätte ja eines der Bücher da unten genommen,… schon aus rein physikalischen Gründen.«, sagt er und zeigt auf den stetig wachsenden Bücherstapel neben meinem Sessel.
Jetzt zuckt auch ein Teil meiner Unterlippe.

Kirchenglocken läuten, es ist schon sechs. Verrückt, wo sind denn die letzten vier Stunden schon wieder hin? Im Lokal unter meinem Fenster läuft Fussball. Deutschland spielt, es ist nicht zu überhören. Einigkeit und Recht und Freiheit.
Brot und Spiele, um das Offensichtliche vorübergehend unter den Stadionrasen zu kehren, wo die zuvor besungenen Werte schon lange vergraben liegen. Bemerkenswert, wie gut dieses Prinzip schon seit Jahrhunderten immer wieder funktioniert. Vielleicht ist ja wirklich nicht die Unsichtbarkeit das Problem.

Apropos Brot und Spiele: Langsam kriege ich Hunger.
Und pinkeln muss ich auch.

Tor für Deutschland.

Seelenruhestörung

Ganz ungebeten tratest Du
in mein schlafendes Sein
und drängtest Dich unerwartet
in das Erwachen hinein.

Du brachtest mich kurz zurück
auf den Trampelpfad unserer Seelen,
für ein nächtliches Wiedersehen,
hinein in ein tagsanftes Quälen.

Doch ist der Schmerz heute nicht,
was er gestern noch war.
Sehe ich doch so vieles jetzt
uneingeschränkt und klar.

So lass mich bitte endlich los,
bitte lass mich gehen.
Irgendwann wirst Du begreifen,
wirst auch Du es verstehen.

Suche mich bitte nicht mehr auf,
in meinem nächtlichen Frieden.
Ich brauche keine Erinnerungen,
um Dich für immer zu lieben.

17. Juni 2021 // © Antje Münch-Lieblang

Aufbruch

I.

Verstecken,
verschwinden,
sich quälen
und winden.

Verletzen,
verbinden,
sich suchen
und finden.

II.

Manchmal muss man sein Innerstes aufbrechen,
wie eine verdammt harte Nuss oder eine Tür,
zu der man keinen Schlüssel mehr hat.
Manchmal muss man Menschen verlieren,
um andere Menschen zu finden,
oder sich selbst.

Manchmal muss man sich ein Bein stellen
und hart zu Boden gehen, damit man merkt,
dass es Zeit für einen Richtungswechsel ist.
Manchmal muss man sich selbst das Herz brechen,
damit es die Chance hat, richtig zu heilen.

III.

Stillstand im Außen.
Aufbruch im Innen.
Raus aus dem Kopf,
sich wieder besinnen.

Bin unterwegs,
mit Bauch und mit Herz.
Dieses Mal gehe ich
seelenwärts!

7. Juni 2021 // © Antje Münch-Lieblang

Wem gehört dieses Kaninchen in meinem Vorgarten? Und was ist eigentlich mit dem Mond los?

Fragen über Fragen. Glücklicherweise habe ich gerade ganz viel Zeit. Oder vielmehr, ich habe mir diese Zeit einfach genommen, weil sie mir nunmal gehört, meine Zeit.

Eine Zeit der Ruhe in einer Zeit des Sturmes.

Mein persönlicher Sturm ist glücklicherweise längst vorüber.
Für mich hat sich die peitschende und lebensbedrohliche See der letzten anderthalb Jahre zu einem friedvollen Stillgewässer geglättet. Das war ein unglaublicher Ritt, sage ich euch. Und selbst, wenn ich euch im Einzelnen davon erzählen wollen würde, ich könnte es mit Worten gar nicht annähernd wieder geben. Hatte ein bißchen was von Tod und Wiedergeburt. Phönix aus der Asche und so. Dieser ganze Scheiß eben. Mit dem Unterschied, dass es dieses Mal keine Jahre gedauert hat. Dieses Mal waren es nur wenige Monate Umweg auf dem Weg zu mir selbst. Irgendwann muss sich ja auch mal ein Fortschritt in der Entwicklung bemerkbar machen. Trotzdem habe ich mir danach erstmal an der Kopf gefasst und mich gefragt, wie oft ich mich denn noch in so eine Situation bringen muss, damit ich dauerhaft daraus lerne. Heute bin ich mir ziemlich sicher, dass es sich nur noch um eine kleine Auffrischung handelte und ich mit dem Thema jetzt ein für alle Mal durch bin.

Naja, jedenfalls ist bei mir jetzt erstmal volles Pfund Selbstfindungsmodus angesagt. Wurde nach über vierzig Jahren Irrungen und Wirrungen ja auch mal Zeit. Thema: Wer bin ich wirklich und wo geht meine Reise hin? Eine Ahnung davon habe ich zwar schon, aber irgendwie fehlt es dem Bild noch an der nötigen Schärfe, um eine klare Aussage machen zu können. Da müssen wir uns einfach noch ein wenig gedulden. Die grobe Reiseroute steht zumindest schon mal fest und das Fortbewegungsmittel auch. Manchmal fällt der Kopf dem Bauch noch ins Wort, aber das passiert zum Glück immer seltener. Es stellt sich nicht mehr die Frage ‚ob und wie‘, sondern nur noch die Frage ‚wann‘.

Wenn es darum geht, verknotete Lichterketten in Ordnung zu bringen, bin ich der geduldigste Mensch der Welt. Wenn es um mich und mein verknotetes Leben geht, eher nicht. Dann will ich alles am liebsten immer sofort. Wenn möglich, am besten schon gestern. Und so rutsche ich aufgeregt in meinem knallgelben Sessel hin und her – manchmal aus Respekt vor der ganzen Sache, manchmal vor lauter Ungeduld, weil ich es kaum noch erwarten kann, und manchmal auch einfach nur, weil mir der Arsch vom Sitzen wehtut. Nein, sonst habe ich tatsächlich gerade keine Probleme. Gönnt mir das ruhig mal!

Würde ich irgendwas anders machen, wenn ich die Gelegenheit hätte? Nein, das würde ich nicht. Vielleicht würde ich allenfalls in der Zeit zurück reisen, um mich selbst zu gegebenem Anlass in die Arme zu nehmen und mir zu sagen, dass ich keine Angst haben muss und alles gut werden wird, ganz egal, wie dunkel die Zeiten gerade erscheinen. Missen möchte ich diese dunklen Zeiten jedoch nicht, denn in diesen Phasen meines Lebens habe ich unfassbar viel gelernt, habe an Stärke und an Dankbarkeit gewonnen.

Das Leben ist momentan wirklich aufregend und unglaublich spannend, wenn man es schafft, zwischen den Zeilen des Weltgeschehens zu lesen, was nicht so einfach ist, das gebe ich zu. Auch ich habe eine Weile gebraucht, bis ich in der Lage war, meinen Blick zu fokussieren und aus der Angst herauszutreten. Alles ist im Umbruch, im Aufbruch, im Erwachen und in der Neuentstehung, und ich bin mittlerweile verdammt glücklich und mehr als dankbar, dass ich dabei sein darf. Ein paar holprige und chaotische Tage des Loslassens stehen uns noch bevor, um es mal nett auszudrücken, aber das gehört nunmal dazu – im Kleinen, wie im Großen. Eine Geburt ist eben kein Spaziergang, sondern schweißtreibend, schmerzhaft und blutig, um es den Tatsachen entsprechender auszudrücken.

Und bis es soweit ist, das Eine, wie das Andere, warte ich ab, trinke Tee, zur Zeit mit Vorliebe Kamillentee (natürlich nicht den fiesen Beuteltee), mache schöne Dinge, umgebe mich mit lieben Menschen und genieße vertrauensvoll, mit stetig wachsender Zuversicht, Aufregung und auch Verwunderung, das teils unterirdische und teils tiefgreifende „Unterhaltungsprogramm“, während ich parallel meine Träume nicht mehr nur träume, sondern sie auch endlich in die Hand nehme und an mein Herz drücke.

Quantentröpfchen für Quantentröpfen, bis zur großen Flut.

Sukkulent (3538)

»Was ist denn da passiert?«, Lebowski hat es sich auf dem Stuhl am Klavier gemütlich gemacht und zeigt auf den Boden unter dem Fenster, der aussieht, als habe ein Schwein in der Erde nach Trüffeln gewühlt.

»Das bin ich.«, mal schauen, ob er damit etwas anfangen kann.

»Du… ah, ja klar, jetzt sehe ich es auch.«, witzelt er und schlägt sich mit der Hand vor die Stirn. Na gut, er kann damit also nichts anfangen.

»Ich wollte heute Nacht frische Luft ins Zimmer lassen und habe nicht an den Kaktus auf der Fensterbank gedacht. Da liegt er nun und spiegelt mich.«, mir erscheint das alles ganz logisch. Lebowski schaut immer noch recht sparsam. Dabei sind wir doch sonst immer vollkommen auf einer Wellenlänge.

»Ok…«, sage ich ein wenig matt, weil ich elendig müde bin und gar keine Lust habe, mich zu erklären, »Der Kaktus hat eine Bruchlandung hingelegt und nun ist er entwurzelt, in der Mitte gebrochen und liegt da, in seinem ganzen Dreck. Genauso, Karl, fühle ich mich gerade, wie dieser Kaktus, weil das Leben meinte, es müsse mal gelüftet werden und ohne Rücksicht auf Verluste das Fenster aufgerissen hat. Und wie dieser Kaktus liege ich am Boden, entwurzelt und gebrochen, um mich herum ist nichts mehr, wie es mal war, während mir jegliche Leidensberechtigung abgesprochen wird.«, jetzt bin ich in Fahrt, »Als ob ich die Möglichkeit gehabt hätte, alldem zu entgehen. Das wäre, als würde ich dem Kaktus Vorwürfe machen, weil er auf der Fensterbank stand und weil er nicht in der Lage war, das Fenster zuzudrücken, als ich es öffnete. Niemand hat eine Ahnung, wie das letzte halbe Jahr für mich war, Karl, aber alle wissen es besser!«, vor lauter Wut und Verzweiflung kommen mir die Tränen, »Ich bin kein schlechter Mensch, Karl.«

»Es gibt keine schlechten Menschen, Rocko, es gibt nur schlechtes Bier. Und ich weiß, wie das letze halbe Jahr für dich war. Niemand war so dicht an dir dran, wie ich. Mir musst du nichts erklären.«, er malt eine liegende 8 in die täglich zunehmende Staubschicht auf dem Klavierdeckel. Ein Bett und ein Klavier im selben Raum ist einfach Mist, denke ich, während ich ihm dabei zusehe. Vielleicht sollte ich doch besser nach einer 2-Zimmer-Wohnung Ausschau halten.

»Natürlich muss ich dir nichts erklären. Naja, fast nichts. Das mit dem Kaktus gerade musste ich dir schließlich erklären. Keinen Schimmer, wie du da nicht drauf kommen konntest.«, ich versuche heiter zu klingen, aber es gelingt mir nicht. Geräuschvoll ziehe ich ein wenig Nasenrotz hoch und streichele den Kaktus, weil er mir leid tut, weil ich mir leid tue und weil ich mich schuldig fühle an unserem Zustand. Außerdem ist es ein bißchen so, als würde ich mich selbst streicheln und es tut mir gut.

»Mach ihnen keine Vorwürfe, weil sie das, was du erlebst, bisher nicht erlebt haben und sich deswegen nicht vorstellen können, wie es sich anfühlt. Du bist auch kein Musterschüler, mein Freund. Von allen Menschen in deinem Umfeld verurteilst du dich doch gerade am meisten und das, obwohl du es besser weißt. Hör auf, dich in dieser Rolle einzurichten, denn das bist nicht du. Der Kaktus braucht vielleicht jemanden, der ihn aufhebt und wieder in die Erde setzt, aber du hast es selbst in der Hand.«, Lebowski zieht eine Augenbraue hoch, seine Version des erhobenen Zeigefingers. Auf diese, in vielerlei Hinsicht, wirkungsvolle Eigenschaft war ich schon immer ausgesprochen neidisch. Meine Augenbrauen sind eigentlich eine einzige Augenbraue, die ich regelmäßig mit einer Pinzette in zwei verwandeln muss. Dann sehen sie zwar aus, wie zwei Augenbrauen, verhalten sich aber noch längst nicht so. Ich bin überzeugt davon, dass Frida Kahlos Monobraue in meinem Gesicht reinkarniert ist. Hätte ich doch auch mal ihr Talent.

»Der wird schon wieder, Kakteen sind zäh.«, tröstet mich Lebowski, während ich beginne, den unteren und wurzelbehafteten Teil meines stacheligen Freundes wieder in den Blumentopf zu stopfen und mit der herumliegende Erde zu befüllen, »Und du wirst auch wieder. Du bist auch zäh, Rocko. Irgendwann kommt der Tag, an dem ihr beide, dein Kaktus und du, wieder in eurer vollen Pracht zusammen aus dem Fenster schaut – vielleicht ein wenig vernarbter, aber dafür umso stärker und interessanter. Mal davon abgesehen, kenne ich bereits die Aussicht. Sie ist berauschend!«, er wirkt nahezu schwärmerisch und zwinkert mir zu.

»Du wirst mir wie immer nichts verraten, oder?«, als ob ich die Antwort auf Fragen dieser Art nicht schon unzählige Male gehört hätte.

»Ich wäre ein schlechter Lehrer, würde ich meinen Schülern die Lösungen ihrer Aufgaben verraten, statt ihnen den Lösungsweg zu vermitteln. Das sage ich dir aber auch nicht zum ersten Mal. Alles wird gut, Rocko. Am Ende wird immer aller gut.«

»Jaja… und wenn es noch nicht gut ist, ist es nicht das Ende. Bla bla bla…«, sage ich genervt und rolle übertrieben gekünstelt mit den Augen, weil Lebowski den alten, weisen Mann gibt, obwohl wir beide nur fünf Monate und drei Tage auseinander sind.

»Du hast es erfasst!«, er grinst und lässt sich von meinem Verhalten nicht aus seiner zen-artigen Ruhe bringen.

»Dein Wort in Gottes Ohr.«, sage ich. Und wie immer, wenn ich das sage, müssen wir beide lachen, weil es so herrlich absurd ist.

3

Alles neu macht der Mai, auch wenn wir gerade erst Ende April haben. Neue Aufmachung, neuer Inhalt und zwei Deppen mehr, die hier ihr Unwesen treiben – Karl und Rocko. Ich bin übrigens Rocko. Ein guter Einstieg wäre auch gewesen: Alles neu macht der Mai, wir sind jetzt 3.

Tusch!

(Karl meinte kürzlich, ich solle das mit dem ständigen Tusch lassen, das sei blöd, aber Karl kann mich mal. Karl, Du kannst mich mal!)

Jetzt wollt Ihr sicher eine Erklärung, wie wir zwei Idioten hier gelandet sind. Das ist schnell erzählt. Antje und ich kennen uns schon gute zehn Jahre und sind sowas wie Freunde, könnte man sagen. Ja, doch… wir sind Freunde. Und vor gar nicht allzu langer Zeit kam uns beiden die Schnapsidee, im wahrsten Sinne des Wortes, zumindest was mich betrifft, unsere literarischen Ausfallerscheinungen einfach zusammenzulegen und die Welt damit zu bereichern.
Karl hat gesagt, wir sollen mal machen, es könne nicht schaden, und so haben wir es einfach gemacht. Außerdem haut das mit diesem Yin-Yang-Ding zwischen Karl und mir nicht so wirklich hin. So sehr Yang, wie der ist, so viel Yin bin ich nun auch wieder nicht. Ich glaube, mit Antje könnte das besser klappen.
Natürlich wird Karl weiterhin gelegentlich seine amüsanten Erzählungen aus unserer gemeinsamen Sturm- und Drangzeit einbringen, wenn ihm danach ist. Schließlich verbringen wir schon fast unser ganzes Leben miteinander, da war viel Sturm und Drang, und außerdem ist er mein bester Freund. Wir bilden hier jetzt quasi die literarische Dreifaltigkeit. In Ewigkeit, Amen.

Viel Sinnvolles haben wir ja auch alle gerade nicht zu tun, jetzt wo die Welt sich mal kurz geschüttelt hat, wie eine ausgewachsene, nasse Bordeauxdogge, die Menschheit direkt vollkommen aus dem Gleichgewicht geraten ist und nun nicht über die Schockstarre hinauskommt.
Karl ist Lehrer, Antje arbeitet auch irgendwas in einer Schule und ich bin ich, der personifizierte Charme, Überlebenskünstler und Nervensäge. In dem Job hat man quasi immer was zu tun, wenn man möchte, kann aber auch einfach die Füße hochlegen, wenn einem danach ist. Ok, nebenbei arbeite ich auch an einer Schule, aber ich bin nicht der Hausmeister, auch wenn Ihr das alle denkt. Karl kümmert sich natürlich gerade auch außerhalb des Bildungsknastes um seine zahlreichen Schäfchen. Eigentlich tut er das rund um die Uhr, aber das war schon immer so. Er ist eben Lehrer mit Leib und Seele und gibt auch das verlorenste Schaaf seiner Herde niemals auf – mich.

Auf Antjes Wunsch ist übrigens der eine oder andere meiner älteren Beiträge passwortgeschützt, damit Ihr hier auch lesen könnt, ohne dass Ihr gleich rot werdet und Eure Körpertemperatur steigt. Das mindert natürlich meine Chancen auf Liebesbriefe und Nacktfotos, aber ich bringe dieses Opfer gerne, wenn es zum Gelingen dieser Fusion beiträgt. Zack, und schon fühle ich mich ein bißchen mehr Yang in meinem ganzen Yin.

So, das war mein Wort zum Sonntag, auch wenn heute schon wieder Montag ist. Zeit ist momentan sowieso relativer, als sie es ohnehin schon ist. Was interessieren da schon Wochentage. Solltet Ihr also noch irgendwelche Fragen haben, geht Antje damit auf die Nerven. Die wollte das so. Mich dürft Ihr nur lesen und lieben, wo wir wieder bei den Nacktfotos wären. Außerdem sorge ich für die gute Stimmung, alkoholische Getränke und eine gesunde Portion »Leck mich am Arsch!«. Das muss reichen.

Und jetzt trinke ich auf uns! Vielleicht auch auf Euch, wenn Ihr schön brav seid. Prösterchen!