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Fliegenfriedhof auf der Fensterbank

Ich interessiere mich nicht für Fußball. Die Abseitsregel wurde mir schon gefühlte hundert Mal erklärt, unter anderem von meiner Mutter, aber ich habe sie immer noch nicht verstanden. Meine eigene Fußballkarriere wurde im Keim erstickt, weil das Talent den Ball grundsätzlich ins Gesicht zu kriegen einen im Fußball eben nicht weit bringt, zumindest nicht weiter als in eine horizontale Position auf dem Rasen.

Zweitausenddrei habe ich mich übrigens zum letzten Mal an dieses Spiel herangetraut. Damals arbeitete ich beim Film als Setaufnahmeleitungsassistenz und meine ballverrückten Kollegen organisierten ein Turnier gegen ein anderes Filmteam. So richtig im großen Stil, sogar mit Trikots. Ich wollte cool sein, ich wollte ein Held sein und vorallem wollte ich ein Trikot. Somit ignorierte ich dieses ungeschriebene Gesetz, dass ein Fußball und ich niemals Freunde werden können und meldete mich für die Mannschaft. Drei Minuten war ich im Spiel, vielleicht kam es mir aber auch nur so lang vor, bis ich bewußtlos mit Nasenbluten neben meiner verbogenen Brille auf dem Rasen lag, nachdem unser italienischer Caterer mir den Ball aus ungefähr zwei Metern Entfernung mit voller Wucht ins Gesicht geschossen hatte.

Ich finde Fußball doof, weil Fußball doof zu mir ist. Ganz einfach. Nur alle zwei bis vier Jahre hat dieser Sport bei mir eine Chance, weil mein schwacher Geist sich von diesem nationalen Gemeinschaftshype mitreissen lässt. Dann gröhle auch ich anspruchslose Fußballlieder und feuere unsere Jungs an. Eine große und glückliche Fußballfamilie, ein Deutschland. Toll! Und ebenso scheinheilig, schon klar. Ungefähr so wie Karneval. Jeder weiß es und alle machen mit, weil es irgendwie trotzdem Spaß macht, wenn man mit den richtigen Leuten unterwegs ist.

Als Deutschland Neunzehnhundertneunzig zum letzten Mal Weltmeister wurde, war ich Dreizehn, also alt genug, um etwas mitbekommen zu haben. Habe ich aber nicht. Zumindest kann ich mich nicht daran erinnern, was daran liegen könnte, dass es die Menschen um mich herum nicht sonderlich interessiert hat oder in meiner Welt kein Platz für sowas war.

Deswegen schaue ich heute in sicherer Umgebung, auf dem Sofa, natürlich mit den richtigen Leuten, denn sonst macht es ja keinen Spaß. Bälle jeglicher Art müssen übrigens an der Garderobe abgegeben werden, auch die vom Hund. Schließlich möchte ich bei Bewußtsein sein, wenn Deutschland Weltmeister wird!

Ene, mene, miste, es rappelt in der Kiste

„SCHREIB!“, schreit es in mir. – „WAS?“, schreie ich zurück. Natürlich schreie ich das nur in mich hinein, um niemandem die Chance zu geben mit fragendem Blick an meiner montagsgewählten Unsichtbarkeit zu kratzen. Dass die Wörter Montag und müde den selben Anfangsbuchstaben haben kann kein Zufall sein.

„SCHREIB!“, schreit es wieder, aber ich ignoriere es und lasse mich stattdessen dazu anstiften einer Bärenhandpuppe, möglicherweise ist es auch ein Hund, aber was spielt das schon für eine Rolle, mit blondierten Haaren und französischem Namen das Fell über die Ohren zu ziehen, wobei es das nicht ganz trifft, denn nebst Beinen und Augen gucken auch die Ohren noch aus seinem umgekrempelten Rumpf heraus und es sieht ein wenig so aus, als sei er sich selbst in den Arsch gekrochen.

Sich selbst in der Arsch kriechen können – dieser Gedanke lässt Bilder in meinem Kopf entstehen. Das wäre dann gewissermaßen die neue Vogelstraußtechnik – statt Kopf in den Sand, Kopf in der Arsch. Das sieht vielleicht seltsam aus, ist aber viel praktischer, weil man Sand nämlich erstmal finden muss, wogegen man ein Hinterteil immer dabei hat. Außerdem ist man auf diese Weise wesentlich flexibler, wenn man auch nicht mehr sieht, wo man hinläuft. Also mehr zu empfehlen für die eigene Wohnung oder weitläufige Grünanlagen und nicht für vielbefahrene Straßen oder Bahnhöfe. Vielleicht nicht optimal, aber zumindest bekämen die Redewendungen in sich gehen und aus sich heraus kommen eine vollkommen neue Bedeutung.

„Irgendwie dachte ich mehr an etwas … na wie soll ich sagen … mehr an etwas … Feinsinninges. Ja genau, an etwas Feinsinniges, wie zum Beispiel ein Gedicht. Ein Liebesgedicht.“, quatscht es auf einmal von innen, aber ich höre nicht wirklich zu, weil ich damit beschäftigt bin unschuldig zu gucken, damit die soeben entdeckte Schändung des Stoffbären nicht mit mir in Verbindung gebracht wird.

„Jetzt schreib doch mal was Sinnvolles!“, klingt es vorwurfsvoll hinter meiner Stirn und während der Bärenhund wieder von links auf rechts gedreht wird, denke ich darüber nach, mal kurz in mich zu gehen und nach dem Rechten zu sehen, lasse es dann aber doch bleiben, weil ich genau weiß, dass es mir dann niemals wieder gelingen wird, mich unsichtbar zu machen.

Noch fünf Minuten bis zum Feierabend.

Was lange währt …

Ich hatte es mir gewünscht oder ich könnte auch sagen, ich habe es bestellt. Grün sollte es sein, mit diesem typischen Stoff, mit dunklem Holz und diesen Schnörkeln an den Armlehnen, so ein typisches Omasofa eben. Das alte Kunstledersofa aus meiner Wohnung ging mir schon lange auf die Nerven, weil es so abgessen war, dass sich das Kunstleder bereits verabschiedet hatte.

Es war letztes Jahr an einem Sonntag, mitten im Winter. Ich kam gerade von einem Lehrgang nach Hause, fuhr mit dem Auto durch die Stadt und da stand es. Es dauerte etwas, bis das Gesehene auch meinen Denkapparat erreichte und so fuhr ich erstmal weiter, um dann irgendwann zu drehen und mir das gute Stück genauer anzusehen. Das Sofa war Bestandteil eines großes Sperrmüllhaufens und sah auf den ersten Blick gar nicht so übel aus. Auch der zweite Blick brachte kein anderes Ergebnis. Das Ding war, abgesehen von der ein oder anderen Schramme im Holz, vollkommen unversehrt. Die Federung war vollkommen in Ordnung, der Bezug auch, es hatte nichtmal Flecken. Noch besser: Ein ebenso gut erhaltener passender Sesseln stand daneben.

Dieses Ding schien nur für mich dort zu stehen und es war orginal so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Leider war es weitaus länger, als mein fahrbarer Untersatz. Was nun? Ich konnte diesen Traum von einem Sofa nicht dem Sperrmüll überlassen und wenn ich bei der Eiseskälte darauf hätte übernachten müssen. Da fiel mir nur ein guter Freund ein, denn ich auch direkt anrief. Ich so: «Duuuhu, da steht ein Sofa auf der Straße.» Er so: «Jaaaha, sollen wir’s holen?» Kurze Zeit später war er da.

Wir stopften Sofa, samt Sessel in seinen Transporter und fuhren im Schneckentempo durch die Stadt, ich hinterher, weil das gute Stück selbst aus seinem Wagen noch zu einem Drittel heraus hing. Da aus meiner Wohnung erstmal das alte Sofa verschwinden musste und der Wechsel der Sitzmöbel doch ein wenig geplant werden musste, brachten wir die Ladung erstmal bei ihm unter. Nachdem wir das scheißschwere Teil die Treppen hochgewuchtet hatten, ließ er erste Zweifel verlauten, ob es überhaupt durch meinen engen Hausflur den Weg in meine Wohnung finden würde, vorallem die Stelle vor meiner Wohnungtür, wo die Kombination aus Treppengeländer und Dachschräge wenig Spielraum für ausufernde Möbeltransporte ließ, stellte er in Frage.

Davon wollte ich nichts hören. Das hatte zu passen. Schließlich rangierte dieses Sofa in meinen persönlichen Charts der perfekt erfülltesten Wünsche auf dem dritten Platz. Es musste also passen. Dass ich bei meiner Bestellung ins Blaue damals besser mal Maße angegeben hätte, kam mir zu dem Zeitpunkt noch nicht in den Sinn.

Bis zum Frühjahr lagerte mein geliebtes Sofa also erstmal fremd, bis dann der Tag kam, an dem es den Platz des kunstlederfreien Kunstledersofas einnehmen sollte. Das alte Sofa war so ein Eckteil bestehend aus zwei zusammensetzbaren Stücken. Jedes dieser Stücke war einzelnd wesentlich kleiner, als der gigantische grüne Viersitzer, auf dem ich mich in meiner optimistischen Fanatsie schon gemütlich liegen sah. Jedes dieser Stücke wurde in einem Anfall von cholerischem Ausfall meines Freundes in seine Bestandteile zerlegt, weil es im Ganzen nicht die böse bereits erwähnte Stelle vor meiner Haustür passieren wollte. Doch ich war immer noch in dem festen Glauben, dass das ’neue‘ Sofa ganz bestimmt durch die Tür geht. Ging es natürlich nicht, was jetzt sicher niemand erwartet hat.

Nachdem alle Beteiligten leicht entnervt das Handtuch warfen, blieb das Sofa auf der Treppe liegen und das Vorhaben wurde vertagt. Ich versprach mir mehr Erfolg, nachdem ich die Armlehnen und die Füße abgeschraubt hatte. Doch auch der zweite Anlauf schlug fehl. Das Sofa endete einen Treppenabsatz tiefer und blieb über Monate ein hochkantes Mahnmal eines wiedermal fehlerhaft ausgefüllten, imaginären Bestellscheins. Mir war klar, wo der Fehler lag, aber das sollte es jetzt gewesen sein? Dieses ganze Theater, der Einsatz, die Kraft, das Gefühl, als es so einfach vor mir Stand, als habe es sich direkt aus meinem Kopf in die Realität hineinmatrealisiert. Ich tröstete mich mit dem Sessel, aber ein Trost ist eben nur ein Trost und kein Ersatz.

Vielleicht geht’s ja über den Balkon … oder ich baue es einfach auseinander und im Wohnzimmer wieder zusammen. Oder ich warte einfach bis zum Sommer, wenn das Dach gedeckt wird und ich ein neues Wohnzimmerfenster bekomme. Klar, Antje … über das Dach … du könntest das Sofa auch ebensogut anstarren und versuchen, es alleine durch die Kraft deiner Gedanken verschwinden zu lassen, um es in deinem Wohnzimmer wieder auftauchen zu lassen. Ich dachte sogar kurzzeitig darüber nach, mir ein Wohnung passend zum Sofa zu suchen. Egal wie, ich wollte dieses Ding.

Es wurde Sommer, ich ging immer noch mehrfach täglich an dem Sofa vorbei, streichelte es hin und wieder oder lehnte mich dagegen und stellt mir vor, darauf zu sitzen oder zu liegen. Langsam versuchte ich mich an den Gedanken zu gewöhnen, dass wohl doch alles ein Irrtum war und dass ich dieses Sofa wohl aufgeben musste, auch wenn sich alles in mir dagegen wehrte. Ich gebe so ungerne Dinge auf, die mir am Herzen liegen, vorallem nicht, wenn sie mir vom Leben auf dem Silbertablett serviert werden.

Vor drei Wochen ging es dann los mit dem Dachdecken. Meine Fenster wurden erstmal durch schwarze Folie ersetzt und nicht nur in meiner Wohnung wurde es dunkel. Auch mein Gemütszustand verfinsterte sich zusehends. Letzten Samstag bekam ich dann wenigstens mein Küchen- und mein Flurfenster wieder. Dienstag sollte dann das Wohnzimmerfenster kommen. Der Gedanke, das Sofa vielleicht doch über das Dach in meine vier Wände zu schaffen, keimte noch einmal in mir auf. Doch Dienstag erschienen die Dachdecker nicht, gestern auch nicht. Heute morgen rief mich dann meine Vermieterin im Büro an, um mir zu sagen, dass die Dachdecker gerade dabei sind, mein Sofa auf das Dach zu fahren.

Die Lehnen und die Füße sind bereits wieder da, wo sie hingehören und das Sofa ist jetzt auch da, wo es hin sollte. Was zusammen gehört, kommt eben doch irgendwann zusammen. Mir ist klar, dass mich dieses Sofa spätestens bei meinem Auszug vor die nächste Herausforderung stellen wird, denn heile wird es diese Wohnung nicht mehr verlassen, aber darüber mache ich mir heute keine Gedanken. Heute denke ich nur noch daran, auf diesem Sofa vor dem Fernseher einzuschlafen und mich beim Erwachen zu freuen, dass ich wieder ein Fenster in meinem Wohnzimmer habe, durch das ich den Himmel sehen kann und dass mir nicht alles weh tut, weil ich nicht verdreht auf dem Sessel eingepennt bin.