Karl der Großherzige

Heute möchte ich über Karl schreiben, weil ich finde, dass er hier auch eine Seite braucht. Schließlich ist er ja ein Teil unserer literarischen Dreifaltigkeit. Karl selbst kriegt das irgendwie nicht hin. Überhaupt lässt seine virtuelle Präsenz allgemein etwas zu wünschen übrig. Er hat wohl gerade alle Hände voll zu tun, weil seine Schäfchen etwas aus dem Ruder gelaufen sind. Tja, Augen auf bei der Berufswahl, sage ich immer!

Karl Lebowski ist mein bester Freund und das schon gefühlt mein ganzes Leben lang. Vermutlich schon das Leben davor. Nein, ganz sicher schon das Leben davor! Und wahrscheinlich auch das Leben vor dem Leben davor.

Lebenspraktisch könnten wir gegensätzlicher wohl kaum sein. Er, ruhig und bedacht, strebsam und aufopfernd. Ich, ein ewiges egozentrisches Wollknäuel, unlösbar in sich selbst verstrickt, immer mit dem Kopf gegen die Wand, zwei Schritte vor und einen zurück. Karl nennt das übrigens immer meinen persönlichen Tanzschritt.

Karl wird immer irgendwie von einem hellen Schein umgeben. Ich dagegen habe bereits Patina. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, Karl ist der kleine Bruder von Jesus, den die Geschichte irgendwie unterschlagen hat. Wären wir Hemden, wäre er das gebügelte und ich das zerknautschte. Er ist eine Mischung aus Obi-Wan-Kenobi und C3PO und ich bin eher so Lando Calrissian trifft Jar Jar Binks. Oder für die, die mit Star Wars nichts anfangen können – es soll tatsächlich solche Menschen geben, auch wenn ich das kaum glauben kann – Karl ist eher so Winnetou und ich bin mehr Old Shatterhand. Der alte Mann und das Meer, Robin Hood und Will Scarlett, Meister Eder und sein Pumuckl, Weißwein und Bier, Kartoffelgratin und Pommes, …
Ok ok, ich hör‘ ja schon auf!

Karl weiß unglaublich viele Dinge und ist ein toller Lehrer. Und auch wenn ich oft so tue, als sei ich vollkommen genervt von seiner Klugscheißerei (ok, manchmal bin ich es wirklich) und der Tatsache, dass er mir immer nur eine Hand voll Krümel hinwirft und mich dann auf die Suche nach dem ganzen Brot gehen lässt, statt es mir direkt in belegten Scheiben zu servieren, bin ich ihm unendlich dankbar, weil ich ohne ihn nicht der Mensch wäre, der ich heute bin. Nie hat er sich über mich gestellt und das würde er auch niemals tun, obwohl er meist über allem zu stehen scheint. Ich bin es manchmal selbst, der seinen eigentlichen Wert verkennt. Und dann taucht Karl auf, wie aus dem Nichts, und zeigt mir, was in mir steckt. Und manchmal, aber wirklich nur sehr selten, lässt er mich einen kurzen Blick auf den Menschen werfen, der ich irgendwann sein werde, weil er mich besser kennt, als ich mich selbst.

Bei uns ging es aber auch nicht immer nur tiefgründig zu. Manchmal waren wir auch ganz schön abgründig, was man gar nicht glauben mag, wenn man Karl so kennt. Muss mein positiver Einfluss gewesen sein. Keine Ahnung, wie viele biergeschwängerte und grasverrauchte Nächte wir uns schon um die Ohren geschlagen haben. Ich gebe zu, in den letzten Jahren sind wir in dieser Beziehung zunehmend bequemer geworden, was auch keine Schande ist. Ich erinnere mich gerne an die gute alte Zeit, aber sie fehlt mir auch nicht. Nicht mehr. Muss an zunehmender Altersweisheit liegen oder so.
Am nächsten Tag auf dem eigenen Teppich aufzuwachen hat einfach zu viele Vorteile, die ich hier jetzt nicht im einzelnen erläutern möchte. Das bringt mich nur vom eigentlichen Thema ab.

Karl nervt mich immer damit, ich solle mal ein Buch über uns schreiben, dabei ist meines Erachtens er der Schriftsteller von uns beiden. Er ist so der Typ John Irving küsst Éric-Emmanuel Schmitt, was ich ausgesprochen charmant finde, während ich eher so schreibe, als hätten Bukowski und Rosamunde Pilcher nach einer durchsoffenen Nacht ein strubbeliges Katzenbaby gezeugt.

Ich verzettle mich schon wieder. Auch so eine Sache in der wir total verschieden sind. Karl hätte sich mehr auf das Wesentliche konzentriert und die Dinge auf den Punkt gebracht. Lehrer eben.

Was gibt es noch von Karl zu sagen? Karl ist der, der alle zu lieben scheint. Er hat für alles und jeden Verständnis, als sei er unfähig die dunklen Facetten des menschlichen Daseins zu sehen. Vielleicht misst er ihnen aber auch nur nicht so viel Bedeutung bei, im Gegensatz zu uns. Karl ist unglaublich humorvoll und kann auch über sich selbst lachen. Er ist ehrlich, weise, liebevoll, verlässlich, niemals nachtragend, aber manchmal sehr direkt. Ab und an ist er etwas langweilig und oldschool, aber das macht seinen persönlichen Charme aus. Karl liebt die Natur, vom höchsten Berg bis zum kleinsten und lästigsten Insekt, und ich glaube, die Natur liebt ihn in tausendfacher Intensität zurück. Zumindest wirkt es auf mich immer so. Er hätte auch eine wundervolle, stattliche alte Eiche abgegeben – Schattenspender, Nistplatz und Ruhepol.

Danke, Karl, dass Du meine Eiche bist und ich mich immer an Dich lehnen kann, wenn mir der Halt fehlt, um aufrecht zu stehen! Und bevor ich jetzt noch richtig sentimental werde, höre ich lieber auf. Soll ja niemand wissen, dass ich gar nicht so ein harter Hund bin, wie ich immer vorgebe zu sein.

Wäre Karl jetzt übrigens hier, würde er sagen, was er immer sagt, wenn ich ihm für irgendetwas danke:

»Dank nicht mir, Rocko, dank dir selbst!«

Karl ist mein bester Freund und das schon gefühlt mein ganzes Leben lang. Vermutlich noch das Leben danach. Nein, ganz sicher noch das Leben danach! Und wahrscheinlich auch das Leben nach dem Leben danach.

Karl erzählt

Hindernislauf

Wenn du nicht gehen kannst,
wohin du glaubst zu wollen,
weißt du vielleicht nur noch nicht,
wohin du wirklich gehen sollst.

Oft sind Hindernisse nicht da,
um sie zu überwinden,
sondern um dich einfach nur
auf den richtigen Weg zu lenken.

23. Juni 2021 // © Antje Münch-Lieblang

Gedankenwelt

Gedanken können wie Mauern sein,
versperren dir alle Sicht.
Gedanken können zu Schatten werden,
nehmen dir jegliches Licht.

Gedanken tragen dich hoch hinaus
und bringen dich unendlich weit.
Gedanken können erlösend sein,
fernab von Raum und von Zeit.

Gedanken drehen sich im Kreis,
denken sich vor und zurück.
Gedanken halten dich auf der Stelle,
zermürben dich Stück für Stück.

Gedanken können dich fesseln,
im Guten, wie im Schlechten.
Gedanken können befreien,
können auch ebenso knechten.

So achte gut auf deine Gedanken,
denn schnell verirren sie sich.
Dann denkst nicht mehr du die Gedanken,
sondern sie denken dich.

19. Juni 2021 // © Antje Münch-Lieblang