Zerebrale Flatulenz im Stroboschein

Ich habe jetzt jede Nacht Disco in meinem Zimmer. Am Gebäude schräg gegenüber ist eine Lampe kaputt. Sobald es dämmert, geht sie an und verbreitet ihren grellen, stroboskopartigen Zauber.

An. Aus. An. Aus. An. Aus. An. Aus. An. Aus. An. Aus. An. Aus. An. Aus. An. Aus. An. Aus. An. Aus. An. Aus. An. Aus. An. Aus. An. Aus. An. Aus. An. Aus. An. Aus. An. Aus. An. Aus. An. Aus. An. Aus. An. Aus. An. Aus. An. Aus. An. Aus. An. Aus. An. Aus. An. Aus. An. Aus. An. Aus. An. Aus. An. Aus. An. Aus. An. Aus. An. Aus. An. Aus. An. Aus. An. Aus. An. Aus. An. Aus. An. Aus. …

Zum irre werden. Die ganze Nacht. Mein Fenster hat weder ein Rollo, noch eine Gardine. Würde auch nichts nutzen, da ich es bevorzuge bei gekipptem Fenster zu schlafen. Der Spaß geht jetzt schon über mehrere Nächte und ich wünsche mir gerade ein Luftgewehr, um dem heute Abend bequem und unauffällig ein Ende machen zu können. Letzte Nacht habe ich mit verbunden Augen geschlafen. Als ob es nicht schon ausreichen würde, dass ich wegen dieser kack Influenza und dem damit verbundenen Husten zur Zeit nur im Sitzen schlafen kann, muss ich mir jetzt auch noch die Augen verbinden. Geht’s noch? Entwürdigender ist nur noch der große Schaumstoffring auf den ich meinen hübschen Hintern mittlerweile bette, weil er vom Sitzen weh tut. Der Arsch ist sozusagen im Arsch. Tusch!

Um mich aus der Selbstentwürdigungsnummer mal wieder zu befreien: Seit gestern bin ich übrigens bei Twitter (Update April 2021: Twitter-Account mittlerweile wieder gelöscht) und ich weiß noch nicht so genau, wie ich das finden soll. Lebowski, der alte Nerd, hat mich da reingequatscht. Vonwegen mit der Zeit gehen und informiert bleiben und mehr Leser erreichen und mal aufgeschlossen sein für Neues und blablabla, so ein Zeug eben. Na gut, dachte ich mir, ich habe ja gerade sowieso nicht viel zu tun, probiere ich dieses Twitter eben mal aus. Keine Ahnung, ob das von Dauer sein wird. Noch kann ich kein Urteil abgeben, ob mir das gefällt oder nicht.

Übrigens bin ich nicht so verstaubt, wie es manchmal den Eindruck macht. Ich bin stinkfaul und habe keine Lust auf zusätzliche Verpflichtungen. „Die Arbeit ist etwas Unnatürliches. Die Faulheit allein ist göttlich.“, sagte einst Anatole France. Kluger Mann. Seine weisen Worte nehme ich mir stets sehr zu Herzen.

Irgendwie war das hier auch ganz anders geplant. Dieser Blog entstand, als ich einen virtuellen Ort brauchte, an dem ich heimlich meine Wunden lecken, mich im Selbstmitleid suhlen und meinen persönlichen Wahnsinn ausleben konnte. Jetzt ist von alldem nur noch der persönliche Wahnsinn übrig. Plus Lebowski, der auf meine Bitte gelegentlich noch seinen eigenen Irrsinn einkreuzt. Keine Ahnung, wo die Reise hingeht. Am Besten lehne ich mich zurück und lasse das Boot einfach mal treiben. Irgendwo wird es schon ankommen.

Zu der kaputten Lampe am Gebäude schräg gegenüber ist mir immer noch keine befriedigend Lösung eingefallen. Irgendwie disqualifiziert sich jede Idee direkt damit, dass ich mir erst eine Hose anziehen muss. Luftgewehr, ich sage es ja. Das wäre einfach die bequemste Lösung. Habe ich aber immer noch nicht.

Vielleicht mache ich heute Nacht auch einfach richtig laute Musik an und tanze nackt bei offenem Fenster im Strobolicht bis irgendein Nachbar die Polizei anruft. Dann kann ich die Polizisten mit einer Leiter auf die andere Straßenseite zur Lampe schicken. Um denen die Tür aufzumachen muss ich mir allerdings auch wieder eine Hose anziehen, sonst nehmen die mich gleich mit. Verdammte Hose! Alles scheitert immer an dieser verdammten Hose!

Ich mache mir jetzt erstmal einen Tee.

Influenza. Hätte ich eine Tochter, das wäre ihr Name.

Zum Glück für die Menschheit und zum Glück für Influenza, habe ich wissentlich keine Nachkommen in die Welt gesetzt, abgesehen von Lebowski, meinem Nachkommen im Geiste. Ich würde die aktuelle Menschheit und mich auch ungerne auf meinen Nachwuchs loslassen, wenn dieser ehrenhafte Grund auch nicht ausschlaggebend für meine Kinderlosigkeit ist, sondern purer Egoismus. Ich lebe lieber so uneingeschränkt, wie möglich und da sind meine Arbeit und ich mir selbst schon Schranke genug. Da brauche ich nicht noch Kinder. Dem Himmel sei Dank habe ich ich eine Frau, die diesen Egoismus mit mir teilt und an Fortpflanzung nie interessiert war.

Ich komme da übrigens drauf, weil mich tatsächlich eine Influenza heimgesucht hat und Lebowski und ich uns früher immer total bescheuerte Kindernamen ausgedacht haben. Influenza war allerdings nicht dabei. Alter, ich schreib den mal mit auf die Liste ok?

Seit letztem Donnerstag bin ich mittelmäßig hinüber, wobei es mir heute schon deutlich besser geht, und seit gestern weiß ich, dass ich eine Influenza habe, wenn auch eine abgeschwächte Version ohne Fieber und Schüttelfrost. Eine Urlaubsinfluenza quasi. Ausreichend unangenehm, um zu Hause zu bleiben, aber noch ausreichend angenehm, um auch etwas davon mitzubekommen. Für viel mehr als Bett und mediale Berieselung hat es aber auch nicht gereicht. Seit gestern bin ich wieder etwas aktiver, wenn es auch noch nicht fürs Bäumeausreißen oder Bergeversetzen reicht. Die Schmerzen, die ich mittlerweile beim Husten habe, sind echt nicht von schlechten Eltern. Irgendein Muskel hat da wohl was abgekriegt.

Lebowski hat es übrigens auch erwischt und wir streiten uns jetzt regelmäßig, wer es von wem hat. Ich denke allerdings, dass wir uns das Karneval eingefangen haben. Kakoschke und Karneval? Richtig, passt nicht. Karneval ist das erbärmlichste Fest in unserem Kulturkreis, das es gibt. Kein Fest, nichtmal Weihnachten, wurde so entwürdigend seinem Ursprung entrissen, wie Karneval. Deswegen habe ich diesen Kelch die letzten Jahre auch mit Freuden an mir vorüberziehen lassen. Tja, und dieses Jahr, Gott weiß warum, hatten wir zeitgleich Lust, einfach mal wieder am üblichen Tag in die übliche Kneipe zu gehen und zu schauen, wer von unseren ganzen alten Freunden, die wir schon lange nicht mehr gesehen haben, sich dort noch einfinden. Waren natürlich fast alle da, fast alle und Influenza, die alte Schlampe, da bin ich mir sicher.

Wo gedeiht so eine Seuche zu dieser Jahreszeit denn besser, als in einer feuchtwarmen, vollgestopften Kneipe, wo sich irgendwann alle furchtbar lieb haben, um es mal dezent auszudrücken, und mit ihren ungewaschenen Fingern um sich tatschen, während sie ihre verschwitzen Leiber teils gewollt, teils ungewollt aneinanderreiben, einem bei dem Versuch gegen die schlechteste Musikrichtung des ganzen Universums anzukommunizieren, regelrecht ins Gesicht kriechen und dabei gefühlt mehrere Liter Speichel zukommen lassen. Vom Zustand der sanitären Anlagen an so einem Abend wollen wir gar nicht erst sprechen. Wäre ich eine Influenza, das wäre mein absoluter Garten Eden. Da musst du dich als Influenza einfach nur mit einem Getränk lässig in die Ecke stellen und zusehen, wie all diese irrsinnigen Menschen deine Arbeit machen.

Lebowski lässt übrigens grüßen. Den hat es etwas schlimmer erwischt. Sein Hirn sei überwiegend Matsch und seine Gliederschmerzen erstrecken sich bis in die Fingerspitzen. Eine gesunde Portion Hirnmatsch sei ja immer mit von der Partie, sagt er, aber das mit den Fingern sei ernsthaft hinderlich beim Schreiben. Ich denke ja, er will mit seiner Influenza einfach nur ungestört alleine sein, der alte Schlingel.

Aber jetzt Spaß bei Seite. Karneval ist längst vorbei und kommt hoffentlich nie wieder. Ich habe zwei meiner Grundsätze verraten, die ich selbst vor Urzeiten auf dem Berg Sinai, während einer stürmischen Gewitternacht, nass bis auf die Knochen, im Schweiße meines Angesichts, nur mit meinen Fingernägeln in Stein geschabt habe.

Du sollst keine Karnevalsmusik mitsingen.
Du sollst dich nicht in eine Polonäse einreihen.

Beides habe ich gebrochen und letztendlich meiner Selbstachtung die Beine, denn irgendwann sind mir wohl die Löcher aus dem Käse geflogen und ich habe mich nicht nur in eine Polonäse eingereiht, sondern: EINE SCHEIßPOLONÄSE ANGEFANGEN! Dafür hätte ich eigentlich eine Influenza auf Lebenszeit verdient und gehe deswegen jetzt auch wieder brav in mein nächtlich durchgeschwitztes Büßerbettchen, um mir irgendeinen schlechten Film anzusehen. Vielleicht irgendwas mit Zombieapokalypse oder so. Ja, Zombieapokalypse ist gut. Das passt zur Influenza und ist ein bißchen wie das letzte Karneval auf diesem Planeten. Nur lustiger, weniger eklig und mit besserer Musik.

Konfetti.

19 – Memento

Vor meinem eignen Tod ist mir nicht bang,
Nur vor dem Tode derer, die mir nah sind.
Wie soll ich leben, wenn sie nicht mehr da sind?

Allein im Nebel tast ich todentlang
Und laß mich willig in das Dunkel treiben.
Das Gehen schmerzt nicht halb so wie das Bleiben.

Der weiß es wohl, dem gleiches widerfuhr;
– Und die es trugen, mögen mir vergeben.
Bedenkt: den eignen Tod, den stirbt man nur,
Doch mit dem Tod der andern muß man leben.

Mascha Kaleko