Ein Nachruf für die Holzwürmer

Unser Garten. Ein Ort der Ruhe und Beschaulichkeit. Unsere kleine Oase, unser Fluchtpunkt aus dem Alltäglichen. Wir lieben unseren Garten. So lange haben wir ihn ja schließlich noch nicht. Allerdings schätze ich, werden wir ihn ewig lieben. Wir sind übrigens umgezogen – nur so nebenbei.

Bei den derzeitigen Temperaturen ist unser Garten nicht nur Fluchtpunkt, sondern eigentlich auch Lebensmittelpunkt. Zumindest die Terrasse. Die Wohnung könnten wir momentan getrost untervermieten, weil wir sie so selten nutzen. Die nutzt nur der Hund. Dem ist es nämlich draußen zu warm, selbst im Schatten. Er ist ja auch nicht mehr der Jüngste.

Heute leidet die Idylle in unserem Garten allerdings vehement, denn auf unserer Wiese steht ein selbsterrichtetes Stonehenge des Grauens. Dieses Monument besteht aus schwarzen Müllsäcken, in denen sich, luftdicht verpackt, alte Holzkisten befinden. Diese schönen alten Holzkisten, die sich heute nur noch aufwändig und manchmal nicht ganz billig besorgen lassen und die sich, zu einem Regal zusammengestellt und mit allerlei Kram bestückt, zauberhaft zur Dekoration der Terrasse eignen. Wir hatten Glück. Der Blumenladen an der Ecke schließt. Die Kisten gingen zum Schleuderpreis raus. Mit ihnen leider auch ihre Bewohner.

Holzwürmer.

Nun habe ich gegen Holzwürmer grundsätzlich ja nichts. Ich liebe jegliche Form von Insekt. Nicht nur die, die alle lieben, so wie Marienkäfer und Schmetterlinge. In unserer Wohnzimmerecke hat zum Beispiel eine Spinne seit Wochen Wohnrecht. Mücken, die sich nach Drinnen verfliegen, versuche ich zu fangen, um sie ins Draußen zu befördern. Motten bezeichne ich liebevoll als Schmetterlinge der Nacht. Ich rette Spinnen vor hysterischen Menschen und Ohrenkneifer vor meiner Frau. Selbst Wespen finde ich niedlich, weil sie so pelzige Fühler haben. Obstfliegen puste ich trocken, wenn sie im Begriff sind sich ungewollt im Weinglas zu ertränken. Kleine Fliegen, die im Badewasser landen, ebenso. Funktioniert übrigens nicht mit einem Föhn – auch nur so nebenbei. In unserem Garten hängt ein Insektenhotel und ich freue mich wie ein kleines Kind, wenn ich sehe, dass es bewohnt ist. Sind übrigens noch Zimmer frei, aber dahin wollten die Holzwürmer leider nicht umsiedeln. Deshalb müssen sie jetzt sterben.

Holzwürmer sind übrigens keine echten Würmer, sondern die Larven des gewöhnlichen Nagekäfers. Ihr sollt ja hier auch was lernen. Diese Larven bestehen zu einem großen Teil aus Eiweiß. Und was passiert mit Eiweiß, wenn man es großer Hitze aussetzt? Genau. Ganz genau das. Meine Frau sagt, ich soll mir das nicht vorstellen. Ich stelle es mir trotzdem vor. Wenn ich mir richtig Mühe gebe, kann ich sie sogar schreien hören.

Es hätte übrigens auch eine schönere Alternative gegeben. Eicheln. Holzwürmer lieben Eicheln und wenn man sie in und um das befallene Möbelstück verteilt, ziehen die Holzwürmer einfach um. Dann entsorgt man die Eicheln irgendwo im Wald, alternativ unter der Wohnzimmeranrichte der ungeliebten Schwiegermutter, und fast alle werden glücklich. Leider sind Eicheln in dieser Jahreszeit eher Mangelware und bis zum Herbst hätten die gefrässigen Biester unsere schönen Kisten vollends zu Sägemehl verarbeitet.

Wir hatten eine Wahl und wir haben sie getroffen. Alles was ich jetzt noch tun kann, ist den Holzwürmern diesen Blogeintrag zu widmen. Das macht sie zwar nicht mehr lebendig, aber zumindest ein Stück weit unvergessen.

Heute ist übrigens der Tag, an dem ich vor vier Jahren meine Frau kennen gelernt habe. Nächstes Jahr wird es dann der Tag sein, an dem ich vor fünf Jahren meine Frau kennen gelernt habe und an dem wir vor einem Jahr die Holzwürmer in die Hölle schickten. Das Leben ist schon seltsam.