Schlagwort: Rocko Kakoschke

That’s the way, aha, aha…

Gut, dann will ich mein Werk mal beginnen und die Leiden des jungen Kakoschke verfassen. Er hat es ja nicht anders gewollt und ihr und ich scheinbar auch nicht, denn sonst wären wir ja alle nicht hier. Trara, tätä und so weiter. Ich bin mir zwar noch nicht hundertprozentig sicher, ob ich das hier so wirklich will, denn vermutlich komme ich dabei auch nicht sonderlich glanzvoll weg. Andererseits habe ich den Anfang bereits gemacht und werde mich jetzt auch nicht drücken. Also los…

Rocko Kakoschke wurde in den siebziger Jahren in einem Dorf geboren, welches so klein war, dass es weder ein eigenes Ortsschild, noch eine eigene Kirche besaß. Dafür gab eine Kneipe, das Querschlag. Hier traf sich alles, was weder Rang noch Namen hatte – also fast jeder. Das Querschlag war sozusagen das Herz des Ortes, wenn es dort auch nicht immer herzlich zuging.

Es gab drei Nachnamen, die den Ort maßgeblich dominierten, was im Laufe mehrere Generationen dazu führte, dass es an Sonderlingen nicht mangelte, wenn ihr versteht, was ich meine. Die Gegend war damals noch bekannt für die Förderung von Steinkohle und an manchen Tagen, so schien es zumindest, fand mehr Leben unter Tage statt, als über der Erde. Dann gehörte das Dorf den Frauen und den Alten, aber vor allem uns Kindern.

Da Rocko auch nicht gerade der Norm entsprach, fiel er mir anfangs nicht auf. Unsere Familie war ebenso zugezogen, wie seine, aber nicht diese Gemeinsamkeit, sondern die Zuneigung zu der pummeligen Greta mit dem leichten Silberblick brachte uns zusammen, nachdem sie uns anfangs gegeneinander aufbrachte, weil wir uns nicht einig wurden, wem von uns sie die schönen Augen machte. Irgendwie sah es immer ein wenig so aus, als würde sie links an einem vorbeisehen, wenn sie mit einem sprach.

Die pummelige Greta mit dem Silberblick war zwei Klassen über uns und uns, betreffend des körperlichen und geistigen Wachstums, deutlich überlegen. Dennoch, jeder von uns beiden war überzeugt davon, der Auserwählte zu sein, derjenige, der irgendwann ran durfte, wenn wir uns auch noch nicht ganz im Klaren darüber waren, was Randürfen im Einzelnen beinhaltete. Der große Johannes mit dem Hinkefuß hatte da so gewisse Zeitschriften von seinem Vater… sagen wir mal… geliehen. Sein Vater war übrigens Bauer Brahms und neben dem Bürgermeister Uhlig die wohlhabendste Person im Ort. Naja, jedenfalls waren diese Zeitschriften sehr aufschlußreich, aber auch ebenso verwirrend. Meine Vorbereitungen fanden meistens vor dem Schlafengehen unter der Bettdecke statt, manchmal auch, wenn ich schon schlief, was mich noch mehr verwirrte, weil ich keinen Einfluss darauf hatte und nicht von der pummeligen Greta träumte, sondern von Fräulein Peters, unserer Lehrerin für den heimatkundlichen Deutschunterricht.

Rocko dagegen schien sich keine Platte zu machen. „Der Bessere möge gewinnen!“, sagte er. Wir rotzten uns in die Hand und schlugen ein, jeder für sich überzeugt, als Sieger aus diesem Duell hervorzugehen, platzend vor mit Überlegenheit überspielter Unsicherheit und einem Hauch von Mitleid für sein Gegenüber. Wir legten uns mächtig ins Zeug, um der pummeligen Greta zu gefallen, aber relativ bald nahm das Ganze ein dramatisches Ende. Wir beobachteten Greta dabei, wie sie heimlich, dachte sie zumindest, hinter dem Kuhstall von Bauer Brahms, am kleinen Johannes vom großen Johannes mit dem Hinkefuß herumleckte. Das Bild und das schmatzende Geräusch verfolgten mich noch lange in meinen Träumen, was den selben Effekt hatte, wie von Fräulein Peters zu träumen, allerdings weitaus verstörender war.

Das war der Beginn unserer bis heute andauernden Freundschaft. Wir fühlten uns von der pummeligen Greta mit dem Silberblick betrogen und ertranken unseren ersten Liebeskummer gemeinsam in einem verstaubten Einmachglas mit vergorenen Pflaumen, die Rocko aus dem Keller des leerstehenden und verfallenen Nachbarhauses gerettet hatte. Wir verkrochen uns damit im halb zugewachsenen Schuppen selbigen Hauses, teilten unseren Schatz wie Brüder, wichsten danach um die Wette, bis der Wundschmerz einsetzte und stellten uns dabei vor, wie Greta mit uns machte, was sie mit dem großen Johannes getan hatte. Wir fühlten uns verdammt männlich. Den gewaltigen Dünnschiss und die Bauchkrämpfe noch am selben Abend wird wohl keiner von uns beiden jemals vergessen. Da war es dann schlagartig vorbei mit der Männlichkeit.

Die Rosette brannte, der Pimmel beim Pinkeln auch, und wir haben geheult, wie die kleinen Kinder, an denen wir wesentlich näher dran waren, als an den Männern für die wir uns wenige Stunden zuvor noch gehalten hatten.

Mein Name ist Lebowski, ich schreibe jetzt hier

Und wie ich das so schreibe, muss ich an Loriot und den Film Pappa ante Portas denken. »Mein Name ist Lohse, ich kaufe hier ein.« Ein Klassiker und immer wieder schön. Kennt von den jungen Leuten heutzutage vermutlich kaum noch jemand, befürchte ich. Früher hätte ich dazu Alte-Leute-Humor gesagt und nicht darüber lachen können. Heute finde ich es ausgesprochen amüsant. Das gibt mir echt zu denken.

»Alter, …«, Rocko sitzt da, mit leicht geöffnetem Mund und einem starren Gesichtsausdruck. Ich bin mir nicht sicher, ob er überhaupt atmet. Wenn man ihn nicht kennt, würde man ihn für debil halten. Oder erwarten, dass er kurz vor einem Schlaganfall steht. Ich allerdings kenne ihn und das schon verdammt lange. Er lässt eine übermäßig lange Pause, um dem, was noch kommt, das nötige Gewicht zu verleihen. Und ich weiß, dass er mal wieder eine total verrückte Idee hat, die uns vermutlich auf irgendeine Art und Weise in die Scheiße reiten wird.

Wir sitzen im Schabulski und trinken Bier. Ich schaue auf die Uhr und gähne demonstrativ gelangweilt, obwohl es noch früh ist und ich eben erst gekommen bin. Davon abgesehen schaue ich etwas streng, weil ich es hasse, mit Alter angeredet zu werden. Schon schlimm genug, dass meine Schüler damit jeden zweiten Satz einleiten.

Nach einer gefühlten Minute, ich schätze es waren nichtmal zehn Sekunden, endet Rockos dramaturgische Pause. »… du solltest auch mal was schreiben.«

»Nenn mich nicht Alter. Das ist so… so… prollig. Außerdem klingt das aus dem Mund von so’nem alten Sack wie dir erst recht vollkommen daneben.«

»Duuu bist ein alter Sack, Karl, ein spießiger alter Sack. Wann hast du eigentlich aufgehört, durch die Unterbuchse zu atmen?«
»Nachdem ich gemerkt habe, dass ich durch Nase und Mund frischere Luft kriege, du Ochse.«

Ich gucke weiter streng, den Lehrerblick habe ich drauf, halte aber nicht lange durch, weil Rocko den tödlich Getroffenen gibt, seine Hände mit schmerzerfülltem Gesichtsausdruck auf eine imaginäre Schußverletzung in der Brust drückt und dabei röchelnd vom Barhocker rutscht. Filmreif.

Ich schaue mich um und bin erleichtert, dass das Schabulski noch so leer ist und abgesehen von Manni, der hinter der Theke gerade ein Weizenglas poliert, niemand etwas mitbekommen hat. Und Manni hat schon so viel gesehen, dass er sich fast über nichts mehr wundert, schon gar nicht über Rocko.

So sehr ich mich bemühe, es nicht zu tun, ich muss lachen. Ich kann nicht fassen, dass er mich mit dieser bescheuerten Nummer gekriegt hat. Rocko klettert wieder auf den Hocker, haut mit der flachen Hand triumphal auf die Theke und bestellt bei Manni zufrieden grinsend zwei Klare. Ich verspüre eine tiefe Zuneigung, aber auch den bohrenden Drang ihm eine reinzuhauen.

»Bei mir auf der Seite solltest du was schreiben.«
Rocko prostet mir zu.

»Schreiben, ich, auf deiner Seite? Ffffffffff… weiß nich’… und was überhaupt?«
Ich kippe den Schnaps in einem runter und mir wird angenehm warm.

»Unseren ganzen Scheiß, den wir so erlebt haben, zum Beispiel. Die ganze verrückte Zeit. Aus deiner Perspektive. Oder was nettes über Menschen. Sei der gute Bulle. Sei mein philanthropisches Gegengewicht.«

Ich habe Schlimmeres erwartet. Das klingt tatsächlich, als könne es Spaß machen und ungefährlich sein.

»Weißt Du, ich glaube, nein, ich weiß, dass das richtig gut wird. Deine Kurzgeschichten in Literatur waren früher immer der Knaller. Du hättest nie aufhören sollen zu schreiben. Ich hab immer gedacht, aus dir würde mal Schriftsteller werden.«

Das dachte ich damals auch, aber es kam einfach zu viel dazwischen und irgendwann passten sich die Träume dem Leben an, statt andersherum, wie es eigentlich sein sollte.

»Alter, komm schon, sag ja.«

Mir gefällt die Idee, hatte ich doch unlängst darüber nachgedacht, mal wieder etwas auf’s Papier zu bringen, zu gucken, ob ich es noch kann. Dann eben so. Warum nicht. Ich bin kurz versucht, ihn noch etwas betteln zu lassen, weil er mich schon wieder angealtert hat und weil mir seine Bemühungen auch irgendwie gefallen, beschließe dann aber, mir die Energie zu sparen. Die werde ich morgen in der Schule nämlich noch brauchen. Ausflug ins Berufsbildungszentrum. Das wird wieder ein Spaß. Ich bestelle noch zwei Schnäpse und verspüre den drängenden Wunsch, mich so richtig zu besaufen und morgen einfach krank zu machen. Rocko würde es tun.

»Ok, ich kann’s ja mal versuchen.«

»Geil, Alter! Das feiern wir!«

Während Rocko noch eine Runde bestellt, bete ich innerlich, dass aus dieser kleinen Mücke nicht doch irgendwann ein ausgewachsener Elefant wird. Und wenn, dann hoffentlich nur ein zahmer.