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Es ist nicht unsere Aufgabe,
einander näherzukommen,
so wenig wie Sonne und Mond
zueinanderkommen
oder Meer und Land.
Unser Ziel ist, einander zu erkennen
und einer im anderen das zu sehen
und ehren zu lernen, was er ist:
des anderen Gegenstück und Ergänzung.

Hermann Hesse – „Narziß und Goldmund“

Zombie

Bizarr und verzerrt. Du nicht ganz du, ich nicht ganz ich.
Ich nenne dich bei deinem Vornamen, ich tue es einfach. Ich finde, nach zwanzig Jahren in denen ich dir schmerzhaft meine uneingeschränkte Liebe geschenkt habe, steht mir das zu. Es spielt keine Rolle, dass du zehn Jahre davon bereits unter der Erde liegst. Ich liege mit dir dort. Als die ersten Erdklumpen auf deinen Sargdeckel prasselten, legte sich mein Inneres neben dein Äußeres. Und während meine Seele neben deinen verrotteten Knochen liegt, bewegt sich mein seelenloser Körper amoklaufend durch die Leben anderer.
Letzte Nacht fügten sich unsere Körper und unsere Seelen wieder zusammen – es war schön dich zu sehen. Ich spüre noch deine Haut, deine feuchtwarmen Haare, meine Hand auf deiner schweißnassen Stirn. Du warst betrunken und hattest diesen roten Pullover an. Du sagtest, ich würde versuchen, schöne Dinge zu sagen, aber es gelänge mir nicht.

Sag mir lieber, wie ich überlebe, während sich mal wieder schmerzliches Vermissen am Erwachen nährt.

Neues aus dem »Doggy Fight Club«

Der I-Hund ist gestern haarscharf der Verwurstung entgangen. Genauer gesagt, ist er den Fängen zweier Dobermänner entgangen, wovon eigentlich eines der possierlichen Hündchen eine Doberfrau war. Das weiß ich, weil ihr Name fiel, als der Besitzer sie sehr energisch mit „Paula, aus!“ aufforderte meinen Hund wieder auszuspucken.

Ich bin ja auch selbst schuld: Es musste schnell gehen und ich habe deswegen an Halsband und Leine gespart. Frei von dieser gewohnten Einschränkung seiner Bewegungsfreiheit dachte sich der kleine größenwahnsinnige Kerl wohl, er könne eine dicke Lippe riskieren und als kleines Appetithäppchen mal zwei ausgewachsene Dobermänner vernaschen. Pustekuchen! Wir wissen alle, dass das genaue Gegenteil der Fall gewesen wäre, hätte das ‚gegnerische‘ Herrchen seine zwei Beiden nicht so gut unter Kontrolle gehabt. Nur der I-Hund schien das mal so gar nicht vorrauszusehen.

Das anfängliche Gekläffe, was bald in hysterisches Gekreische umschlug, wandelte sich relativ schnell in schmerzvolles Gequieke, als Paula im wahrsten Sinne des Wortes die Schnauze voll hatte von dem Theater. Möglicherweise ist der I-Hund jetzt schlauer, denn die Lippe ist wirklich ziemlich dick und sein dreifach perforierter Kopf somit vielleicht etwas offener für Einsicht.

Doch so wie ich ihn kenne, würde er es wieder tun und riskieren, dass ihm bei der nächsten Begegnung mit Paula und ihrem Kumpel direkt der ganze Kopf abgebissen wird. Um ehrlich zu sein, möchte ich gar nicht wissen, ob ihm dieses Erlebnis eine Lehre war oder nicht. Mir jedenfalls war es eine Lehre und ich werde den kleinen Kerl nicht mehr morgens im dunklen Wald unangeleint herum laufen lassen. Hab‘ ihn doch lieb den kleinen Rambo … und bin verdammt froh, dass nochmal alles gut gegangen ist!