Ich wachte auf und stellte fest, dass ich wie üblich in voller Montur genächtigt hatte. Meine Schuhe trugen die Spuren der letzten Nacht. Bierflecken. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob diese Flecken entstanden bevor oder nachdem ich das Bier getrunken hatte. Ich hätte nur daran riechen müssen, dann hätte ich es gewusst, aber ich war eigentlich nicht sonderlich scharf darauf. Eigentlich konnte ich nicht mal sicher sein, ob es überhaupt Bierflecken waren, denn ich konnte mich wie gewohnt an nichts erinnern. Die letzte Nacht hatte sonst nicht sonderlich viele Spuren hinterlassen, außer dem pelzigen Geschmack in meinem Mund. So musste es sich anfühlen, wenn man einen lebendigen Hamster gefressen hatte.
Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hatte mein Leben in der letzten Nacht deutlich mehr Spuren hinterlassen, als umgekehrt. Bestimmt hatte ich wieder Frauen angegraben, bei denen von Vorneherein klar war, dass sie zu hundert Prozent auf Männer standen (wie unnormal). Dadurch alleine bin ich wahrscheinlich schon unangenehm aufgefallen. Von eventuellen Brandlöchern in Teppichen mir unbekannter Leute und einem, durch meinen Mageninhalt, verstopften Waschbecken in einem sowieso total versifften Kneipenklo wollen wir erst gar nicht reden. Das war Standartprogramm. Ich musste mich nicht daran erinnern können, um zu wissen, dass ich es getan hatte. Wahrscheinlich hatte ich auch wieder in das Geranienbeet meiner Nachbarin gekotzt und bin singend die drei Etagen bis zu meiner Wohnung hoch gestiegen. Die richtige Wohnung schien ich erwischt zu haben, denn beim Aufwachen roch es nach kalter Zigarettenasche und schalem Bier. Der Duft der Ungezwungenheit, mal davon abgesehen, dass ich gezwungen bin mich jeden Tag voll laufen zu lassen, um diese Ungezwungenheit zu verspüren.
Ich hatte wieder keine Frau abgeschleppt, denn auch nach intensiverem Suchen fand sich keine in meinem Bett. Dafür hatte ich einen ordentlichen Kater. Ich bekam sonst nie einen Kater und empfand diese Seltenheit als äußerst unangenehm. Vielleicht sollte ich noch etwas trinken. Ich suchte nach einer noch vollen Bierflasche, fand aber keine in erreichbarer Nähe. Zum Aufstehen fühlte ich mich noch zu schwach. Warum war ich überhaupt erst ins Bett gegangen, ohne Frau? Wie sinnlos. Ich hätte weiter trinken sollen, dann hätte ich jetzt nicht dieses Problem mit dem Kater und der sich von innen heraus ausbreitenden Übelkeit. Ich drehte meinen Kopf zur Seite und kotzte neben das Bett. Auch in diesem Fall wäre eine Frau sehr praktisch gewesen. Sie hätte es weg machen können.
Es war wieder einer dieser Tage, der unweigerlich darauf hinauslief, in ein endloses, diffuses Loch der tiefschwarzen Sinnlosigkeit zu verschwinden. Mir persönlich war das ja scheißegal, denn ich hatte mich bereits an dieses Leben gewöhnt und nicht nur das, ich hatte mich auch letztendlich damit abgefunden, nichts daran ändern zu können, aber mein schizophrenes zweites Ich nervte mich mal wieder wahnsinnig mit dem irren Gedanken, an meinem Leben müsse sich etwas ändern. Die Vorstellung, es könne sich etwas ändern, schien mir mehr als utopisch, zumal ich überhaupt keine Ahnung hatte, wie sich hätte etwas ändern können. Außerdem boten diese immer gleich bleibenden Tage eine gewisse Form der Sicherheit, auf die ich nicht bereit war zu verzichten. Jedenfalls nicht, wenn es letztendlich hieß, sich um mehr zu kümmern, als um einen mit Bier gefüllten Kühlschrank und einen ausreichenden Vorrat an Zigaretten.
Schließlich hatte ich alles, was ich brauchte. Mal abgesehen von einer Frau, die hatte ich nicht. Doch ich wusste, eines Tages würden mir die Frauen in Scharen hinterher laufen. Ich musste nur endlich einige meiner Gedichte und Lieder der Öffentlichkeit verkaufen und schon würden mir alle Türen offen stehen, sogar die vom Ladies Night Club, die mir bisher jeden Samstagabend verschlossen blieb, da ich von dem etwas übermäßig muskulösen Mannsweib einer Türsteherin bisher immer höflich aufgefordert wurde, möglichst schnell das Weite zu suchen. Ich musste mir wohl oder übel eingestehen: Mein schizophrenes zweites Ich hatte recht, an meinem Leben musste sich etwas ändern. Diese Erkenntnis brachte mich mit dem Inhalt meines Kühlschranks unweigerlich auf die gewohnte Tuchfühlung. Der Beginn eines neuen Lebens. Die Geburt einer neuen Existenz. Die Auferstehung eines tot geglaubten Lebenswillens. Darauf musste ich erst mal einen Trinken.
Schließlich würde morgen sicher noch genug Zeit bleiben, um mein Leben zu ändern.
(Entstehungsjahr 2000)
© Antje Münch-Lieblang
haha echt witzig!!!!! 😀